Workshop I·6

Funktionelle Nahrungsmittel: Health Claims.

Lebensmittel in der Prävention ernährungsabhängiger Krankheiten:
Konzepte und Ziele.
Wirtschaftliche und rechtliche Aspekte im Dialog.
Womit darf geworben werden?

Prof. Dr. Helmut Heseker,
Fakultät für Naturwissenschaften, Universität Paderborn

Dr. Markus Grube RA,
Rechtsanwaltssozietät Krell & Weyland, Gummersbach

 

Funktionelle Lebensmittel bzw. Functional Food sind verarbeitete Lebensmittel, die über § 1 LMBG hinausgehend, nicht nur der Sättigung und der Versorgung mit Nährstoffen dienen, sondern einen gesundheitsrelevanten Zusatznutzen aufweisen. Sie sollen z. B. das körperliche und seelische Wohlbefinden oder Leistungen steigern und weit verbreiteten ernährungsbedingte Krankheiten vorbeugen (z. B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Osteoporose, gastrointestinale Erkrankungen). Funktionelle Lebensmittel bewegen sich somit im Grenzbereich zwischen Lebens- und Arzneimitteln.

Funktionellen Lebensmittel werden erhebliche Potenziale für den Erhalt und die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung zugeschrieben. Sie enthalten Inhaltsstoffe, die vor allem auf Körperfunktionen wirken, wie z. B. den Stoffwechsel, das Immunsystem, das Wachstum, die Abwehr reaktiver Oxidantien, das Herz-Kreislauf-System, die Physiologie des Magen-Darm-Trakts oder auf die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit. Die wichtigsten Wirkstoffgruppen sind bisher Pro-, Pre- und Symbiotika, Antioxidantien, sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe, bestimmte Fettsäuren, Fett- oder Zuckerersatzstoffe, bioaktive Peptide sowie Mineralstoffe, Spurenelemente und Vitamine. Die Wirkungen von Lebensmittelbestandteilen werden gezielt auf physiologische Funktionen hin erforscht, und die Qualitätseigenschaften von Lebensmitteln werden systematisch optimiert. Auf diese Weise rückt die Ernährungsforschung enger an die medizinische und pharmazeutische Forschung heran. Bisherige Konzepte sehen im wesentlichen eine Elimination oder Reduktion unerwünschter Inhaltsstoffe (z. B. Salz, Cholesterin) und eine Anreicherung (z. B. Vitamine, Mineralstoffe, Ballaststoffe, Polyenfettsäuren, Laktobazillen) vor.

Die Analyse und die Bewertung der Wirksamkeit und der Sicherheit funktioneller Lebensmittel sind zentrale Aspekte der aktuellen wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Diskussion. Hierbei spielen zahlreiche rechtliche Fragen eine wesentliche Rolle. Teilweise hemmt die z. Zt. noch bestehende Rechtsunsicherheit die weitere Entwicklung.

Funktionelle Lebensmittel eröffnen der Lebensmittelindustrie neue Wachstumsmöglichkeiten. Aufgrund unterschiedlicher Definitionen und Abgrenzungen schwanken die Angaben zum Weltmarktvolumen für die funktionellen Lebensmittel zwischen 10 Mrd. und 20 Mrd. Euro. Der europäische Markt wird auf ca. 2 Mrd. Euro geschätzt. Damit liegt der Anteil für funktionelle Lebensmittel noch unter 1 Prozent des Lebensmittelmarktes in Europa. Doch wird in Zukunft von einer hohen Dynamik ausgegangen. Zum einen interessieren sich die Lebensmittelindustrie, der Handel und die Verbraucher sehr für dieses Segment. Zum anderen begünstigt die Verschiebung der Altersstruktur der Bevölkerung sowie das steigende Interesse der Verbraucher/innen für Fragen der Gesundheit und Ernährung die Nachfrage. Es wird allerdings jedoch nicht erwartet, dass hier ein neuer Massenmarkt entsteht. Eher geht man auch in Zukunft von einem wichtigen Nischenmarkt aus.

Eine wichtige Zielgruppe sind sicherlich ältere Menschen, da gerade dort die gesundheitspolitisch relevanten, ernährungsbedingten Erkrankungen auftreten und diese Personengruppe in Zukunft zahlenmäßig überproportional zunehmen wird. Doch die Anbieter funktioneller Lebensmittel erreichen diese Gruppe bisher kaum. Ältere und sehr alte Menschen haben zudem keinen besonders hohen Stellenwert bei den in der Industrie verfolgten Produktentwicklungen und Marketingstrategien.

Auch für NRW ist die kommerzielle Lebensmittelproduktion von großer ökonomischer Bedeutung mit hoher Wertschöpfung. Durch die abnehmende Bevölkerung und den kaum steigerbaren individuellen Verzehr zeigt der Lebensmittelmarkt nur begrenztes Wachstum. Höhere Gewinne sind einerseits durch eine Reduktion der Produktionskosten sowie Diversifizierung im Lebensmittelangebot und andererseits durch Schaffung neuer Bedürfnisse und Bedarfe ( "besondere" und "gesündere" Lebensmittel) zu erreichen.

Aktuell werden funktionelle Lebensmittel entwickelt auf der Basis von Erkenntnissen der modernen Ernährungswissenschaft über kausale Zusammenhänge zwischen Nahrungsinhaltsstoffen und Gesundheit bzw. Fehlernährung. Diese Produkte dürften aber nur eine Zwischenstufe darstellen. In Zukunft werden funktionelle Lebensmittel für eine auf das Genprofil zugeschnittene, individualisierte Ernährungsweise entwickelt werden. Durch entsprechend optimierte Lebensmittel wird eine wesentlich effektivere Prävention ernährungsbedingter Erkrankungen möglich sein.

 

Rechtliche Aspekte der gesundheitsbezogenen Werbung bei der Vermarktung von Lebensmitteln
Mit dem von der Europäischen Kommission vorgelegten Entwurf einer Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel, der großes Aufsehen verursacht und auch viel Kritik nach sich gezogen hat, steht das Werberecht für Lebensmittel unmittelbar vor einer grundlegenden Neuordnung.

Die Zulässigkeit der Verwendung gesundheitsbezogener Angaben richtet sich nach (noch!) geltendem deutschen Recht nach § 17 LMBG, der ein Verbot irreführender Werbung im Lebensmittelbereich ausspricht.

Gesundheitsbezogene Aussagen sind grundsätzlich zulässig, sofern sie der Wahrheit entsprechen. Dies beinhaltet die Nachweisbarkeit der behaupteten Gesundheitswirkung.

Probleme bereitet § 18 LMBG, der das Verbot krankheitsbezogener Werbung beinhaltet (ihm entspricht auf europäischer Ebene Art. 2 Abs. 1 der so genannten Etikettierungs-Richtlinie 2000/13/EG). Bezeichnend für den Umgang mit dieser Verbotsnorm ist bereits die Tatsache, dass sie in der Standard-Textsammlung "Lebensmittelrecht" des Beck-Verlages falsch mit "Verbot gesundheitsbezogener Aussagen" überschrieben ist. Häufig überdehnen deutsche Gerichte bei der Frage, ob eine Aussage "bloß" gesundheitsbezogen ist oder "schon" krankheitsbezogen den Anwendungsbereich des § 18 LMBG. Viele gesundheitsbezogene Aussagen werden von deutschen Gerichten mit dem Hinweis untersagt, dass die Beschreibung des Gesundheitsvorteils mittelbar den Schluss auf ein konkretes Krankheitsbild zulasse.

Die deutsche Lebensmittelwirtschaft wurde somit zunehmend in die Richtung gedrängt, Gesundheitsvorteile nur pauschal auszuloben. Genau dies wird nunmehr zum Vorwurf der Europäischen Kommission, die die zunehmend pauschalere Bewerbung von Lebensmitteln mit Gesundheitsaussagen beklagt.

Nach dem Entwurf einer Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel sollen zukünftig bestimmte gesundheitsbezogene Aussagen gänzlich unzulässig sein, nämlich beispielsweise allgemein gehaltene Aussagen auf nichtspezifische Vorteile des Lebensmittels, Angaben, die sich auf psychische Funktionen oder Verhaltensfunktionen beziehen oder Angaben im Gewand ärztlicher oder anderer Sachverständigenmeinungen.

Die Verwendung anderer gesundheitsbezogener Aussagen bedarf nach dem Verordnungsentwurf grundsätzlich der Zulassung.

Die Voraussetzungen für die Zulassung als Health Claim sind, dass zum einen anhand allgemein anerkannter wissenschaftlicher Daten grundsätzlich nachgewiesen ist, dass das Vorhandensein oder Fehlen der Substanz, auf die sich die Angabe bezieht, eine "positive ernährungsphysiologische Wirkung" hat, und zum anderen, dass die Wirkungszusage nach allgemein anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen wegen des konkreten Gehaltes der Substanz in dem konkreten verzehrfertigen Lebensmittel erzielbar ist.

Keine Zulassung ist ausnahmsweise für solche gesundheitsbezogenen Angaben erforderlich, die über eine Art "Generalzulassung" – der Verordnungsentwurf verwendet diesen Begriff jedoch nicht – verfügen. Diese Claims werden in einer Liste geführt und stehen allen Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft gewissermaßen frei zur Verfügung.

Als besonderer Fall gesundheitsbezogener Angaben werden die "Angaben bezüglich der Verringerung eines Krankheitsrisikos" gehandhabt. Insoweit wird im Vergleich zur geltenden Rechtslage in Deutschland der Handlungsspielraum der Unternehmen erweitert, da diese Aussagen zur Zeit zweifellos unter das Verbot des § 18 LMBG (und entsprechend unter das Verbot des Art. 2 Abs. 1 der Etikettierungs-Richtlinie 2000/13/EG) fallen.

Auch diese Angaben bedürfen nach dem Verordnungsentwurf der Zulassung. Neben den vorstehend aufgeführten Voraussetzungen muss bei diesem Angaben im Rahmen der Kennzeichnung zusätzlich der Hinweis erfolgen, "dass Krankheiten durch mehrere Risikofaktoren bedingt sind und dass die Veränderung eines dieser Risikofaktoren eine positive Wirkung haben kann oder auch nicht". Diese missglückte Formulierung zielt darauf ab, dass der "risk-reduction-claim" nicht als Wirkungsgarantie dargestellt wird.

Insgesamt birgt der Verordnungsentwurf mehr Restriktionen als Innovationschancen. Zukünftige Vermarktungsstrategien müssen den enger gesteckten Rahmen zulässiger Lebensmittelwerbung berücksichtigen. Eine Chance bietet möglicherweise der rechtzeitige Aufbau bestimmter Warenzeichen (Marken), deren Wortzeichen einen gesundheitsbezogenen Anklang enthalten.

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